Hamburger Staffelrudern Juni 2019

 

Am Vorabend des Hamburger Staffelruderns finde ich mich in geselliger Runde mit den langjährigen Staffelteilnehmern unseres Vereins wieder. Gemütlich sitzen wir an einer langen Tafel zwischen den beiden angemieteten Häuschen in Hamburg-Billdeich. Wohlgemeinte Beschreibungen des kommenden Events kursieren am Tisch und wechseln sich ab mit so manch einer „Horrorgeschichte“ zu dem, was mich erwartet. Von totaler Erschöpfung ist die Rede, und von Schmerz, auf den man sich kurioserweise von Runde zu Runde besser einstellen könne. Und ich frage mich, worauf habe ich mich da bloß eingelassen. Aber jetzt gibt es kein zurück mehr.

Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, wir wollen zeitig beim Hamburger und Germania Ruder Club ankommen. Das Bootshaus ist malerisch an der Außenalster direkt neben der Brücke zur Binnenalster gelegen. Insgesamt treten 27 Mannschaften aus den unterschiedlichsten Gegenden Deutschlands an. Unser Verein ist mit 28 Personen vertreten. Damit stellen wir 5 Mannschaften, die sich regelmäßig über die nächsten 8 Stunden abwechseln werden.

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Mittlerweile sind die meisten Boote zu Wasser gelassen, über 50 Ruderboote tummeln sich im Umfeld des Bootshauses. Ich bin beeindruckt von diesem geordneten Chaos, in dem die Boote ohne größere Kollisionen durcheinander wimmeln. Ein reges Treiben aus Booten, Skulls und Ruderern mit Trikots in den unterschiedlichsten Vereinsfarben.

Die ersten Mannschaften machen sich fertig und gehen in Startposition. Immer zwei Boote starten gleichzeitig alle 30 Sekunden, damit alle Vereine im Rennen sind, bevor die ersten Starter wieder hier ankommen. Mit der Startnummer 3 ist unser Verein beim zweiten Start dabei.

Pünktlich um 11:00 Uhr startet unsere Mannschaft und kämpft mit Erfolg darum, zuerst unter der Kennedybrücke durchfahren zu können. Gespannt warten wir, dass sie ihre Runde auf der Binnenalster vollenden und unter der Brücke wieder hervorkommen. Und da schießen sie auch schon hervor, umrunden die Außenalster und gehen in den Endspurt. Nach knapp elfeinhalb Minuten übernimmt unser zweites Team das Rennen. Gleichzeitig macht sich die dritte Mannschaft bereit und klatscht die erste Mannschaft ab, als diese zurück an den Steg kommt.

Mein Team, die vierte Mannschaft, besteht aus uns vier Neulingen und unseren zwei Trainern. Wir machen uns bereit einzusteigen, wenn das zweite Boot anlandet. Nur noch knappe 12 Minuten und meine Aufregung steigt.

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Endlich ist es soweit - wir stellen unsere Sitzpositionen ein, stoßen uns vom Steg ab und machen die letzten Probeschläge. „Denkt an den Endzug!“ ermahnt unsere Steuerfrau uns noch einmal und wir begeben uns in Startposition. Schon sehen wir unser Schwesterboot näher kommen. Angespannte Stille herrscht im Boot. Und dann hören wir das ersehnte Kommando:

„Startnummer 3, Achtung, los!!!“

Mit aller Kraft legen wir uns in die Ruder, der Lärm der Zuschauer am Bootshaus verklingt mit jedem Schlag, den wir uns der Binnenalster nähern. Wir hören nur noch den regelmäßigen Takt der eintauchenden Ruderblätter, unseren schneller werdenden Atem und die anfeuernde Stimme unserer Steuerfrau: „Bleibt zusammen! Konzentriert euch, und Schub!“ Wir umrunden die große Fontäne und sehen die gegnerischen Boote hinter uns. Jetzt heißt es nicht nachlassen und die anderen in Schach halten. Das gelingt uns zwar in der großen Kurve, doch auf der Geraden zur Brücke kommt das Vorderste der gegnerischen Boote unerbittlich näher. Schließlich kann es uns überholen und als erstes unter der Brücke durchfahren.

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„10 Schläge für die Konzentration!“ versucht unsere Steuerfrau uns aufzumuntern. Als auch wir unter der Brücke durch sind, nähert sich ein weiteres Boot. Wir haben noch die lange Gerade mit der scharfen Abschlusskurve und der Zielgeraden vor uns. „Mehr Druck in den Endzug! Alle zusammen! Nicht nachlassen!“ Wir legen uns stärker in die Ruder und es gelingt uns, den Abstand für eine Weile konstant zu halten. Doch dann zieht das andere Boot nochmal an und schiebt sich Zentimeter für Zentimeter vor. Auch wir erhöhen den Druck - auf keinen Fall vor der Kurve vorbeilassen, ist die Devise. Langsam schiebt sich das gegnerische Boot heran, bis wir Bug an Bug sind. Noch wenige Meter bis zur Kurve, doch es reicht nicht mehr zum Überholen. Endlich hören wir das ersehnte „Steuerboard überziehen!“ Wir gewinnen wieder leichten Vorsprung. Jetzt nur noch die letzte lange Gerade. „Durchhalten! Alle Kraft in den Endzug! Es darf gekotzt werden!“ brüllt unsere Steuerfrau. Der Gegner kommt wieder ran, wir mobilisieren unsere letzten Kräfte. Kopf an Kopf schießen wir übers Wasser. Dieses Mal gelingt es uns, den Gleichstand zu halten und uns nicht abschlagen zu lassen. Zugleich fahren wir über die Ziellinie und erst dann nehme ich wahr, dass wir auf der Zielgeraden ja sogar noch ein anderes Boot überholt hatten. Erschöpfte Erleichterung macht sich breit. Für die nächsten 40 Minuten geben wir den imaginären Staffelstab an die anderen weiter.

Dann ist es wieder soweit. Der zweite Start. Obwohl wir dieses Mal keinen solch anspornenden Zweikampf haben, können wir uns sogar noch zeitlich verbessern.

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Über den Tag hinweg wechseln sich Anspannung und Anstrengung mit Ausruhen und Runterkommen ab. Von Mal zu Mal fühlen wir die stärker werden de Erschöpfung und gegen Ende sind alle froh, als sie ihre letzte Runde vollbracht haben. Leider dürfen wir nicht mehr, wie letztes Jahr, drei Sekunden vor 19:00 Uhr noch eine weitere Runde starten. Als unser Boot die Ziellinie überfährt, winken die Schiedsrichter ab - Schluss für dieses Jahr! 8 Stunden Hamburger Staffelrudern liegen hinter uns!

Gemeinsam warten wir gespannt auf die Ergebnisverkündung, um unsere Wettkampfposition zu erfahren. Als es soweit ist, steigt die Nummerierung immer höher, ohne dass wir aufgerufen werden. Erste Irritationen und ungläubiges Staunen machen sich breit. Als der Veranstalter schon alle verabschieden will, ist klar, dass unser Verein leider vergessen wurde. Unter lautem Gejohle geht Bodo schließlich unsere Medaillen für den 9. Platz abholen.

Es ist geschafft! Ausgelaugt, aber glücklich machen wir uns auf den Rückweg zum Quartier! Als wir dann abends beim Grillen wieder zusammen an der langen Tafel sitzen, ist eines ganz gewiss - nächstes Jahr sind wir alle wieder dabei!

 
Jörg Piasek